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Julian Schwinger, Quantum Mechanics

Buchbesprechung, verfaßt für http://www.quanten.de

Der Autor ist bekannt: Es handelt sich um einen der Mitbegründer der moderneren Quantenelektrodynamik (1948-1950). Er lebte von 1918-1994, ist in NY geboren und war in gewisser Weise in seinem physikalischen Denken und Werk ein Antipode von Richard Feynman.

Er war sehr formal und hat nie Feynmandiagramme benutzt. Allerdings war er auch praktisch relevanten Rechnungen durchaus zugetan und hat als erster die Strahlungskorrektur zum magnetischen Moment des Spin-1/2-Teilchens (Elektrons), also den Einschleifendreiervertex in der minimalen QED berechnet. Er war an der Entwicklung der allgemeinen Renormierungstheorie beteiligt und hat unabhängig von Tomonaga das Konzept des ,,time-slicing'', also die Einführung eines skalaren Zeitparameters, in die Relativitätstheorie entwickelt. Er hat zusammen mit Tomonaga und Feynman den Nobelpreis für die Begründung der modernen relativistischne Quantenfeldtheorie erhalten (wenn ich mich im Datum nicht irre, war das der Nobelpreis 1965).

Das vorliegende Buch ist vom Herausgeber sehr sorgfältig ediert worden und stellt die Zusammenfassung mehrerer von Schwinger selbst verfaßter Skripten zur Einführung in die Quantentheorie dar. Es ist also für die Grundvorlesung im Theoriekurs (an den meisten deutschen Unis dürfte das im 5. Semester sein, in Darmstadt, wo ich studiert habe, gab es vorher schon einen Einführungskurs im 4. Semester).

Der formale Inhalt selbst folgt weitgehend dem klassischen Schema eines solchen Kurses, allerdings mit einigen Unterschieden in der Darstellung und in der physikalischen Auffassung des Formalismusses der Quantentheorie. Soweit mein mangelndes Englisch dies zuläßt, kann ich sagen, daß es zunächst einmal eine sehr sorgfältig durchdachte Sprache ist, der man anmerkt, daß jeder Satz wohlformuliert ist, ohne daß dies auch nur im entferntesten schwerfällig wirkt.

Gehen wir den Inhalt kurz durch, soweit ich das beim ersten Lesen erfassen konnte:

Das Buch wird durch einen längeren Prologue eingeleitet, der keine einzige Formel enthält. Normalerweise lese ich so etwas nicht, allerdings ist dieses Vorwort eine Ausnahme. Es handelt sich um die konzise Zusammenfassung der Auffassung Schwingers zur ,,Interpretation'' des quantentheoretischen Formalismusses, der schon im Untertitel des Buches ,,Symbolism of Atomic Measurements'' zusammengefaßt ist.

Er führt genau aus, was eine Messung in einem atomistischen Weltbild der Physik bedeutet, nämlich die Unvermeidbarkeit von Störungen des Systems durch die Messung, was bekanntlich zu der berühmten Folgerung führt, daß nicht alle möglichen Observablen eines Quantensystems simultan scharfe Meßwerte zugeordnet werden können. Mißt man eine Observable sehr genau, werden die Werte anderer Observablen umso weniger bestimmt, und der Experimentaufbau entscheidet wesentlich, welchen Aspekt des Systems man gerade erfaßt.

Er betont sogleich, daß die Quantheorie vollständig kausal ist, d.h. daß bei exakt gegebenem Anfangszustand des Systems und bei Kenntnis der einwirkenden Kräfte der Zustand desselben zu jedem Zeitpunkt exakt bekannt ist, wie auch in der klassischen Mechanik. Die Theorie ist allerdings nicht deterministisch, weil ja eben aufgrund der unvermeidlichen nicht zu vernachlässigenden aber auch in ihrer Wirkung auf manche Observablen unvorhersehbaren Einwirkung des Meßapparats auf das zu vermessende Objekt nicht alle Observablen zugleich scharfe Werte haben können. Die Quantentheorie ist nun nach Schwingers Auffassung nichts anderes als die formal-idealisierte Beschreibung der Messungen an Quantensystemen: ,,This symbolization of atomic measurements is quantum mechanics, developed by Heisenberg, Born, Schrödinger and others, essentially in the years 1925 to 1927, still very distant from our present point of view.''

Der eigentliche Quantentheoriekurs beginnt mit einer mathematischen Analyse des vorgestellten Konzepts des Meßprozesses. Dieses Kapitel ist sozusagen ,,Präquantentheorie'', denn es wird keineswegs einfach der Hilbertraum postuliert und dann a posteriori der Nachweis geführt, daß der Hilbertraumformalismus tatsächlich genau die Phänomene beschreibt. Vielmehr wird von dem im Prolog ausführlich dargestellten Prinzip der Messung eines Quantensystems ausgehend der Bra-Ket- (und damit letztlich natürlich der Hilbertraumformalismus) entwickelt und anhand von Stern-Gerlach-Experimenten (SGE) illustriert. So entsteht in der Tat die Quantentheorie, wie wir sie alle kennen, als ,,Symbolism of Atomic Measurements''. Es ist für mich die Erfüllung des didaktischen Traums, die Quantentheorie ohne heuristische Hilfsmittel aus der sog. ,,Wellenmechanik'' oder irgendwelcher Korresponzprinzipien zur klassischen Physik, die bekanntlich zur ,,Kopenhagener Verwirrungsphilosophie'' (Einstein) führen, zu begründen.

Es wird zunächst sauber mit diskreten beschränkten Raumgittern mit periodischen Randbedingungen gearbeitet (so daß Ort und Impuls zunächst diskrete Variablen sind) und später der Kontinuumslimes in mathematisch sauberer Weise durchgeführt. Ohne unnötigen mathematischen Ballast wird so die nichtrelativistische Quantentheorie, auf die sich das Lehrbuch erklärtermaßen beschränkt, mathematisch sauber durchgeführt, insbesondere die Separabilität des Hilbertraums über Zustände stationärer Unschärfe (Eigenzustände des harmonischen Oszillators). Das erste ,,Quarter'', ,,Quantum Kinematics'' genannt, schließt mit einer detaillierten Analyse des Drehimpulses. Dank des berühmten Schwingerschen Oszillatormodells, das aus der bekannten Behandlung aus der Drehimpulsalgebra (Liealgebra der SO(3)) hergeleitet wird, gestalten sich auch die sonst schwierig aussehenden Rechnungen (z.B. zu Clebsch-Gordan-Koeffizienten) elegant und einfach. Den krönenden Abschluß bildet die vollständige Erläuterung der Galileiinvarianz und der Begründung des ,,Hamilton Operator for a system of elementary particles''.

Das zweite Quarter (das Buch ist nach einer Vorlesung, die bei Schwinger offenbar 3 Quarters umfaßte, gegliedert) ist mit ,,Quantum Dynamics'' überschrieben und in einem ,,Quantum Action Principle'' benannten (natürlich ist es Schwingers Quantenwirkungsprinzip, nur war Schwinger so bescheiden, es nicht so zu nennen) formuliert. Es werden damit die verschiedenen ,,Bilder'' der Quantentheorie leicht verständlich.

Es schließen sich einige elementare Beispiele an, die, obwohl es die altbekannten Probleme sind (freies Teilchen, konstante Kraft, Harmonischer Oszillator, WKB-Verfahren, Rayleigh-Ritzsches Variationsprinzip), trotzdem spannend dargestellt werden.

Der Harmonische Oszillator wird auch noch ein ganzes Stück weiter behandelt, als man es sonst gewohnt ist, insbesondere werden explizit zeitabhängig getriebene Oszillatoren betrachtet. Das Kapitel schließt mit einer atemberaubend schönen Behandlung des Wasserstoffproblems (Zurückführung auf den 2-dim. isotropen Oszillator in Polarkoordinaten). Dann wird auch noch in parabolische Koordinaten umgerechnet und die klassische Störungstheorie des Starkeffekts und des Zeemanneffekts besprochen. Das Kapitel schließt mit einer exakten Behandlung der Rutherfordstreuung.

Das dritte Quarter behandelt ,,Interacting Particles'', also Vielteilchensysteme (natürlich angefangen mit dem Zweiteilchenproblem). Es werden identische Teilchen mit Hilfe von Erzeugungs- und Vernichtungsoperatoren eingeführt, Vielelektronenatome in den wichtigsten Näherungen behandelt (Hartree-Fock, Thomas-Fermi).

Das Werk schließt mit einer vollständigen Behandlung der sog. ,,nichtrelativistischen'' QED, also der Behandlung der Strahlung von Atomen, bei denen die Elektronen nichtrelativistisch behandelt werden dürfen, bis hin zur Lambshift.

Abgerundet wird das Buch durch eine umfassende Sammlung von 351 Übungsaufgaben. Allerdings fehlen, der amerikanischen Tradition folgend, jegliche Lösungshinweise.

Es ist zu hoffen, daß dieses Buch weiteste Verbreitung im universitären Unterricht findet. Es ist aber auch ohne weiteres zum Selbststudium geeignet, erfordert aber einige mathematische Vorkenntnisse. Wer jedoch Spaß an einer klaren, Irrwege vermeidenden modernen Einführung in die Quantentheorie hat, ist mit dem Buch bestens bedient. Man hätte sich eine Fortsetzung in einem zweiten Band, in dem dann auch die relativistische Quantenfeldtheorie in didaktischer Weise aufbereitet präsentiert wird. Es wäre allein schon aus didaktischer Perspektive interessant, weil da bestimmt keine Feynmandiagramme auftauchen würden. Aber dafür stehen ja schon die drei Bände von Steven Weinberg ,,Quantum Theory of Fields'' zur Verfügung.




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